Windig, Windiger, CSD in Rostock

queer-kopf.de

Von Annabell Kretschmer und Carolin Grub // Foto von queer-kopf.de

Die Wetterprognosen für den Jubiläums-CSD versprachen viel: ein wenig Sonne und angenehme 23 Grad. Also bestes Wetter, um für „queere Rechte und ihre volle Akzeptanz zu demonstrieren“ und die Individualität zu feiern. Doch leider machte der berüchtigte Rostocker Wind dem geplanten Programm einen Strich durch die Rechnung. Bereits in den frühen Morgenstunden wurden, aufgrund heftiger Böen am Stadthafen, die geplanten Präsentations- und Infostände verschiedenster Vereine und Organisationen auf der Haedge-Halbinsel abgesagt. Zu groß war das Risiko, dass Zelte und weitere Materialen durch den Wind die Teilnehmer:innen und Besucher:innen verletzen könnten. Da hieß es kreativ werden. Schließlich hatten sich viele schon monatelang auf diese Veranstaltungen vorbereitet und mit passendem Merch eingedeckt, den sie an die Menschen verteilen wollten. Und es zeigte sich, warum es ihnen so wichtig war, dieses an die Demonstrierenden auszugeben:  Sie alle setzen nämlich ganz individuell das Motto des 20. Rostocker CSD „Mehr als bunt, laut und schrill!“ um. Somit stand bei den meisten nicht nur der Party-Gedanke im Vordergrund, sondern viel mehr die entsprechende Aufklärung. Aufklärung darüber, wer, warum und wie an diesem Tag demonstriert. So wurden aus einem Lastenfahrrad neben aussagestarken Aufklebern, Trinkbecher mit den Erklärungen der einzelnen Pride-Flaggen verteilt. Auch andere Vereine und Organisationen waren um einen großen Aufklärungsgrad in ihrem Merchandise bemüht. Auch wenn die Präsentation der beteiligten und queernahen Institutionen nur in einem gekürzten Format auf dem Neuen Markt vor der anstehenden Demonstration erfolgte, wurde deutlich, dass es hierbei nicht nur um das Feiern des bereits Erreichten ging, sondern eben auch um die so wichtige Aufklärungsarbeit und der damit verbundene Wunsch der vollen Akzeptanz queerer Menschen als Teil der Gesellschaft. Das alleinige Ziel war es also nicht, verkleidet und mit lauter Musik den Verkehr von Rostock lahmzulegen.

Nachdem bereits ab dem 27. Juni die HanseQueerKultur-Wochen mit vielen verschiedenen Veranstaltungen von Konzerten, über Dragqueen-Shows und -workshops bis hin zu Besuchen von historisch bedeutenden Stätten stattgefunden hatte, stellte die Demonstration durch die Rostocker Innenstadt den Höhepunkt der Veranstaltungsreihe dar. Im Gegensatz zu den vorherigen Jahren versammelten sich dieses Jahr unglaubliche 10.000 Personen in ihren bunten und ganz individuellen Outfits vor dem Rathaus. Durch ihre Offenheit und ihre ganz persönlichen Statements, die sie auf ihren mitgebrachten Schildern und Flaggen trugen, zogen sie die Aufmerksamkeit der außenstehenden Menschen auf sich. Hier fiel auch die Vielzahl von Schildern auf, die sich für eine bessere queere Aufklärung in Schulen einsetzt. So konnte man beobachten, wie aus Zuschauer:innen schnell Teilnehmer:innen wurden. Viele fühlten sich von der lockeren, offenen und fröhlichen Stimmung eingeladen und suchten bewusst Gespräche und informierten sich über die stattfindende Veranstaltung. Diese Beobachtung durchzog auch die gesamte Demonstration. Diese begann nach der offiziellen Begrüßung mit einträchtigen Kundgebungen um 13 Uhr am Neuen Markt. Über die Lange Straße, den Doberaner Platz bis hin zum Margaretenplatz jubelten Menschen von den Bürgersteigen zu, machten Fotos oder tanzten einfach zu der Musik der zwei mitfahrenden Laster. Die Demonstrierenden vermittelten einfach, im Vergleich zu anderen wöchentlich stattfindenden Kundgebungen, pure Lebensfreude, die an niemanden emotionslos vorbeiging. Und diejenigen, die keine Regungen zeigten, waren aufgrund der großen Menschenmasse quasi dazu gezwungen, in die vielen lachenden Gesichter zu schauen und ihre Wünsche wahrzunehmen. Weggucken ging an diesem Tag einfach nicht. Zu groß war die Anzahl der Teilnehmer:innen, die bereits den gesamten Tag mit Regenbogenfarben oder anderen queeren Statements durch die Rostocker Straßen liefen. Auch die vielen erforderlichen Straßensperrungen sorgten dafür, dass jede:r in Rostock den CSD wahrnahm. Schließlich waren auf dem Weg zum Stadthafen, als jährlicher Schlusspunkt, Verkehrsknotenpunkte wie die Doberaner Straße und der Kanonenberg für einen längeren Zeitraum gesperrt. Der CSD und seine Teilnehmer:innen übernahmen damit quasi einen Tag lang das Leben in Rostock. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn dies zukünftig nicht mehr erforderlich wäre und das individuelle Leben jeden Tag, ganz selbstverständlich, zu Rostock gehört. Dennoch wurde mit diesem Tag und all seinen Veranstaltungen und Partys wieder ein wichtiges Zeichen auf dem Weg in die richtige Richtung gesetzt, für eine tolerante Zukunft. Auch wenn der Wind das ein oder andere Schild oder Outfit zerstörte und den Veranstaltungsplan durcheinanderwirbelte, gehört er doch genauso zu Rostock, wie das queere Leben. Und das wurde am 20. CSD wieder einmal ganz eindringlich deutlich.

Die Erfahrungen, die die heuler-Redaktion bei der Demonstration sammeln konnte, werden nicht vergessen werden. Vor allem für die Redaktionsmitglieder, die sich als Teil der LGBTQIA+ Community identifizieren, war dieser Tag besonders bewegend.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert