Arbeitslosigkeit lässt die Zukunft nichtig werden

Arbeitslosigkeit_lässt_die_Zukunft_nichtig_werden_Josephin_Bauer

Von David Wolf // Illustration von Josephin Bauer

„Arbeitslosigkeit lässt die Zukunft nichtig werden“- so schreibt es George Orwell in „Down and Out in Paris and London”. Für die Zukunft scheinen sich die Kandidierenden des Bürgermeisteramtes in Rostock nicht zu interessieren. In den 17 Wahlprogrammen der Bewerber:innen kommt das Wort Arbeitslosigkeit nicht einmal vor. Armut hingegen nur im Kontext der Bewegungsarmut. Bildungsprogramme oder das Angleichen der Stadtteile sprechen dieses Thema da noch am ehesten an.[1] Ob das nun daran liegt, dass sich mit Arbeitslosen kaum Wählerstimmen gewinnen lassen oder daran, dass es einfach kein interessantes Thema ist, ist unklar.

Dass der Arbeitslosigkeit gerade hier in Rostock mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte, zeigen aktuelle Statistiken. Mit einer Arbeitslosenquote von 7,2 % liegt Rostock exakt auf dem Wert von MV. Das sind 2,1 Prozent über dem Bundesdurchschnitt und nach Bremen und Berlin die dritthöchste Quote bundesweit.[2]

Mit ihrem Job verlieren Arbeitslose häufig auch einen wichtigen Orientierungsfaktor – etwas, woraus sich ein Sinn schöpfen lässt. Handlungsalternativen von Familien und Einzelpersonen beschränken sich auf die vom Arbeitsamt vorgegebenen. Wer als alleinstehende Person Hartz-IV bezieht, bekommt 449 € im Monat. Das sind ca. 15€ am Tag für Stromkosten, Lebensmittel, Hygieneartikel und Kleidung. Für das neue 49€ Ticket oder ein neues Möbelstück bleibt da kein Geld übrig. Je nach Familienstand, Lebenslage oder dem Wohnort sieht die Situation noch heikler aus. Die Beziehung zwischen Staat und Arbeitslosen könnte schon fast als toxisch bezeichnet werden. In einem Artikel über toxische Beziehungen schreibt der SWR: „Ihr Partner oder Ihre Partnerin kontrolliert Sie. Er will bestimmen, wofür Sie Ihr Geld ausgeben“. Arbeitslose dürfen nicht einmal in den Urlaub fahren, ohne dem Jobcenter Bescheid zu geben.[3] Die Androhung, beim Verstoß gegen die Auflagen die Leistungen zu kürzen, wirkt auf viele einschüchternd und stigmatisierend. Zusätzlich wird der Kontakt zum Jobcenter eher als hinderlich empfunden und Leistungskürzungen sind nicht förderlich, um Arbeitslosen wieder zu einem Beruf zu verhelfen. Das fand eine Langzeitstudie vom Berliner Institut für empirische Sozial- und Wirtschaftsforschung heraus.[4] Übrigens sind solche Leistungskürzungen auch für das Bürgergeld vorgesehen, welches 2023 eingeführt werden soll.[5] Regelungen wie diese entziehen erwachsenen Menschen die Verfügungsgewalt über sich selbst.

Und dennoch werden die Individuen für ihre Armut verantwortlich gemacht, wobei das System zu einem großen Teil außer Acht gelassen wird. Armut und Herkunft sind mittlerweile eng miteinander verknüpft. Seit 1998 hat sich die Anzahl der dauerhaft von Armut betroffenen Menschen mehr als verdoppelt. Fast die Hälfte der Menschen, die unter der Armutsgrenze leben, verbleiben dort dauerhaft.[6] Dies gilt auch für die Kinder, die in armen Familien aufwachsen. Laut einer OECD-Studie, kann der soziale Aufstieg in Deutschland sechs Jahre dauern. Mit Chancengleichheit hat das nicht allzu viel zu tun.[7]

In 17 Wahlprogrammen wird das Thema Arbeitslosigkeit nicht einmal angesprochen. Vielleicht sollen die geplanten Bildungsprogramme dafür sorgen, Bildung für alle Kinder zugänglicher zu machen. Schließlich scheint Bildung ein guter Weg zu sein, der Armut zu entkommen. Dadurch wird jedoch in Kauf genommen, dass diese Kinder solange in Armut leben, bis sie einen eigenen Beruf haben. Dabei sollte der Sozialstaat, in dem wir leben, arme und arbeitslose Menschen davor bewahren, einer Zukunft ohne Sinn entgegen zu blicken.

“For, when you are approaching poverty, you make one discovery which outweighs some of the others. You discover boredom and mean complications and the beginnings of hunger, but you also discover the great redeeming feature of poverty: the fact that it annihilates the future. Within certain limits, it is actually true that the less money you have, the less you worry.” (George Orwell)

Quellen:

[1] Das sind die Kandidierenden

[2] Arbeitsmarkt im Überblick – Berichtsmonat Oktober 2022 – Rostock, Hansestadt

[3] Zehn Merkmale für eine toxische Beziehung

[4] Pressemitteilung: Aktuelle Studie belegt: Hartz IV-Sanktionen verfehlen Wirkung und machen krank

[5] Bürgergeld: Details zum Regelsatz – Wie viel Geld gibt es?

[6] Armutsrisiken haben sich in Deutschland verfestigt

[7] Armut wird vererbt

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert