Wenn der Studienabschluss zur Lebenskrise wird

Von Sabrina Scholz // Illustration von Josephin Bauer

Es ist Anfang März, als ich verzweifelt vor meinem Laptop sitze und hunderte Begriffe in die Suchleiste bei Google eingebe. Es dreht sich alles um Berufsbezeichnungen, Arbeitgeber:innen, Praktika. In einem Monat würde ich meine Masterarbeit abgeben und dann fertig mit dem Studium sein. Finito. Schluss. Ende. Und dann? Neben den Gedanken zum Fazit meiner Masterarbeit war ich quasi gezwungen, einen Plan zu entwickeln. Eigentlich hatte ich gar keine Lust schon wieder zu arbeiten, weil ich zwischen Nebenjobs, Ehrenämtern, Büchern über Orthographie und Korpusanalysen gerne eine Auszeit hätte. Ich fühlte mich ausgelaugt. Schnell kommt mir ein Begriff in den Kopf, den ich sofort in meine Suchmaschine eintippe: Quarterlife Crisis. In 0,4 Sekunden werden mir 145.000.000 Ergebnisse angezeigt. Per definitionem ist dies eine psychische Krise, die zwischen dem 21. Und 29. Lebensjahr auftritt und den „Übergang von der akademischen Welt in die reale Arbeitswelt“ beschreibt.[1] Bei solch einer Krise kann es zu einem seelischen Ungleichgewicht kommen, Selbstwertproblemen oder Depressionen.[2] Ich klappe den Laptop zu. Bin ich jetzt in der Quarterlife Crisis angelangt?

Ich, als Geisteswissenschaftlerin, wurde schon häufig mit der Frage konfrontiert, was ich später mal mit meinem Studium machen würde. Die Frage ist lästig, doch sie ist nicht verkehrt. Wenn man eine Geisteswissenschaft studiert, hat man kein klares Berufsfeld vor den Augen wie zum Beispiel Medizin- oder Lehramtsstudierende. Vielleicht hängt diese berufliche Unsicherheit auch mit dem Studienverlauf zusammen. Laut dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) liegt die Studienabbruchquote im Bachelor mit Berücksichtigung eines längeren Studienverlaufs bei den Geisteswissenschaften bei 49%, bei Mathematik und den Naturwissenschaften sogar bei 50%. Die geringste Abbruchquote verzeichnen die Lehramtsstudiengänge mit nur 10%.[3] Im Masterstudium brechen bei den Studierenden der Geisteswissenschaften 37% ihr Studium ab, bei den Naturwissenschaften und Lehramtsstudiengängen sind es jeweils 16% der Studierenden. Das DZHW sieht die Entwicklung der Zahlen in den letzten zwei Jahren im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie, durch die sich viele Studierende gegen die Fortsetzung ihres Studiums entschieden.[4] 

Wenn man mich heute fragt, was ich nach meinem geisteswissenschaftlichen Studium machen möchte, kenne ich eine bessere Antwort: „Ich habe vielfältige Möglichkeiten“. Die Auswahl sehe ich als Vorteil. Feste berufliche Vorstellungen erlangen die meisten Studierenden laut Bundesagentur für Arbeit sowieso erst am Ende ihres Studiums.[5] Zudem hat man in Deutschland gute Chancen, einen Job auf dem Arbeitsmarkt zu finden. Berufseinsteiger:innen benötigen circa drei Monate, bis sie eine Jobzusage erhalten.[6] Trotzdem kann die Jobsuche ernüchternd sein und die Akademiker:innen in eine Krise stürzen – die Quarterlife Crisis.

Es ist jetzt Anfang April und ich bin auf dem Weg zu einem Bewerbungsgespräch. Während der Zugfahrt mache ich mir die ganze Zeit Gedanken, welche Dinge in der Zukunft auf mich zukommen. Der Krisenmodus ist aktiviert. Zum einen muss ich keine Hausarbeiten mehr schreiben und mich mit mehreren schlechtbezahlten Jobs über Wasser halten. Zum anderen muss ich auch vierzig Stunden arbeiten und habe weniger Zeit für meine Freund:innen … Am nächsten Morgen klingelt das Telefon.  „Sie haben den Job“, sagt die Personalchefin zu mir. Ich freue mich und lege auf. Auf einmal fällt die gesamte Anspannung der letzten Monate von mir ab. Bin ich jetzt offiziell raus aus der Lebenskrise?

Ja und Nein. Mit dem Abschluss in der Tasche bekommt man Sicherheit und das Gefühl, etwas erreicht zu haben. Die Möglichkeiten nach dem Abschluss sind trotzdem noch da – Ausbildung, Promotion, Gap Year, Selbstständigkeit und vieles mehr. Doch Quarterlife Crisis und die ganzen Möglichkeiten hin oder her – am Ende kommt es darauf an, dass jede Person ihren eigenen Weg geht und damit glücklich wird.

P.S. Mit Beendigung meines Studiums wird auch die Leitung des Ressorts „Uni“ frei. Melde dich gerne bei redaktion@heulermagazin.de, falls du Interesse daran hast – oder besuche uns bei den Redaktionssitzungen montags um 19 Uhr in der Parkstr. 6.


[1] Adam, B.: Quarterlife Crisis. Jung, erfolgreich, orientierungslos, München: Heinrich Hugendubel Verlag 2003, S. 2.

[2] Jung, Alica: Quarterlife Crisis – wenn Zukunftsangst lähmt, in: Zdf.de. URL: https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/junge-erwachsene-krise-quarterlife-crisis-100.html [Zugriff am 25.05.2023].

[3] Heublein, Ulrich/Hutzsch, Christopher/Schmelzer, Robert: Die Entwicklung der Studienabbruchquoten in Deutschland, in: DZHW Brief 05/2022, S. 6.

[4] Heublein, Ulrich/Hutzsch, Christopher/Schmelzer, Robert: Die Entwicklung der Studienabbruchquoten in Deutschland, in: DZHW Brief 05/2022, S. 9–10.

[5] Agentur für Arbeit: Berufsmöglichkeiten nach dem Studium, in: Arbeitsagentur.de. URL: https://www.arbeitsagentur.de/bildung/studium/beruf-nach-dem-studium [Zugriff am 25.05.2023].

[6] Sachse, Maximilian von: Der Start ist hart, in: Faz.net. URL: https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/berufseinstieg-der-start-ist-hart-17608478.html [Zugriff am 10.05.2023].

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert