Sonne und Beton — Filmrezension

von Anna Etzrodt // Illustration von Steffen Dürre

Berlin-Gropiusstadt im Sommer 2003. Vier Freunde. Lukas, Julius, Gino und Sanchez. Sonne und Beton.

Der von David Wendt verfilmte Debütroman Felix Lobrechts bringt Zuschauer:innen in eine Welt, die sich vermutlich für Leser:innen des heulers fernab der eigenen Lebensrealität befindet. Dabei ist sie lediglich drei Stunden Autofahrt entfernt von uns. Sonne und Beton erzählt die Geschichte von Lukas, Julius, Gino und Sanchez: Vier Berliner Jungs, die in ein Leben von Armut und Gewalt hineingeboren wurden. Der Film zeigt überraschend authentisch die Lebensrealität zwischen Drogenmissbrauch, Alkoholismus und Armut und ist dennoch keineswegs trüb und traurig. Im Gegensatz zu anderen Sozialdramen erwecken die Hauptdarsteller kaum Mitleid. Sie sind sympathisch und authentisch, nahbar und persönlich, während wir sie durch ihren Alltag zwischen Hitze und Hochhäusern begleiten.

Die vier Freunde, porträtiert von Levy Rico Arcos als Lukas, Vincent Wiemer als Julius, Rafael Luis Klein-Hessling als Gino und Aaron Maldonado Morales als Sanchez, würde man als Jugendliche aus finanziell schwachen Hauhalten betiteln. Gefangen zwischen Perspektivlosigkeit, Schulden und Langeweile, da es ohne Geld bekanntlich schwer ist, etwas Spannendes zu unternehmen, beschließen sie, die Schule zu berauben, die kürzlich neue Computer für den EDV-Unterricht gestellt bekommen hat.

Der Film leitet mit einem Fernsehbeitrag ein, in dem Altbundeskanzler Schröder die Agenda 2010 verkündet, welche Millionen Deutsche in Armut und Niedrigstlohnarbeit fesselte. Es ist traurig daran zu denken, dass diese vier Jungs am Ende ihrer Schulbildung an einer Brennpunktschule in Berlin diesem Schicksal wohl ebenfalls nicht entkommen werden. Der verwitwete Vater von Lukas verkündet, dass er einen Job für 800 Euro im Monat bekommen hat. Sanchez Mutter kann, trotz ihrer Arbeit, sich und ihren Sohn kaum über Wasser halten. Ginos Eltern beziehen Geld vom Amt, das eher in Alkohol anstatt in seine Zukunft investiert wird. Die Eltern von Julius sind nicht im Bilde, lediglich ein großer Bruder, der drogenkonsumierend in der verdreckten Wohnung der beiden haust, ist sein Bezug.

Es sind Lebensrealitäten, die schnell klar werden lassen, dass echte Arbeit sich kaum lohnt in einem Land, welches diese Arbeit nicht wertschätzt. Und so ist der Klau der Computer für die vier eine logische Konsequenz und bringt die Berliner Brennpunktschule nicht aufgrund ihres desolaten Zustandes, der fehlenden Förderung und Wertschätzung der Schüler:innen oder Gewalt in die Medien, sondern wegen Sachbeschädigung und Diebstahl von Schuleigentum. Es zeigt, inwiefern Gegenstände der Öffentlichkeit wichtiger zu sein scheinen, als die Schüler:innen, die ihrem eigenen Schicksal ausgeliefert sind.

„Es passiert doch jeden Tag was an unserer Schule. Niemanden interessiert‘s. Und diese Kleinigkeit interessiert dich jetzt?“

„Kleinigkeit? Das waren nagelneue Computer, Lukas! Die kosten ein Vermögen. Damit ihr irgendwas in eure Köppe kriegt. Aber nee, da kommen irgendwelche Idioten und klauen die. Die spinnen doch.“

„Hast du eigentlich gehört, was ich grad gesagt hab? Jeden Tag is‘ irgendwas an meiner Schule. Jeden Tag is‘  ne Schlägerei und jeder scheiß Kanacke bringt ein Messer mit in die Schule. Warum regst du dich da nicht drüber auf, ja.“

Der Film überzeugt durch die authentische Sprache, die vor allem von den jungen Schauspielern nicht aufgezwungen, sondern gelebt wirkt. So kommt Aaron Maldonado-Morales aus Kreuzberg, während Levy Rico Arcos eine Schule in Gropiusstadt besucht. Ebenso wurden die meisten Nebendarsteller:innen durch Streetcastings vor Ort gefunden – Luvre47, der den Titelsong des Filmes rappt und Marco, der den großen Bruder von Lukas verkörpert, kommt aus Gropiusstadt. Zusätzlich sind auch andere Rapper wie Lucio101, der als Cem auftritt, und Olexesh, der als Marek agiert, sowie prominente HipHop-Künstler:innen wie Juju, NNOC, Azzi Memo, Klapse Mane und Army Of Brothers in verschiedenen Nebenrollen zu sehen. Der Film überzeugt durch viele unverbrauchte, frische Gesichter und grenzt sich damit deutlich von den verstaubten Vorurteilen ab, die Deutscher Film gerade in den Köpfen junger Leute erzeugt.

Sonne und Beton schafft es, auf eine ganz natürliche und feine Art, sozialkritisches Kino zu zeigen. Die Charaktere der Jungs sind hervorragend ausgearbeitet, jeder von ihnen bekommt die Möglichkeit, seine ganz eigene Geschichte zu erzählen, die sich am Ende doch sehr ähnelt. Niemand ist nur böse, niemand ist nur gut. Und das macht sie so sympathisch und authentisch. Es ist ein Film, der die Zuschauer:innen mitnimmt und sie nicht nur bemitleidend zuschauen lässt. Er regt an zum Nach- und Überdenken. Denn am Ende ist es nur eines, was uns von ihnen unterscheidet: Wir hatten einfach ein bisschen mehr Glück bei der Geburt.

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