Von Marie Kurz-Filipski // Fotos von Catcalls Of Rostock
Pfeifen, Rufen, Sprücheklopfen, Luftküsse werfen, vermeintliche Komplimente gegenüber fremden Personen äußern, sexualisierte Gewalt auf offener Straße: Das alles gehört zum sogenannten „Catcalling“ (deutsch: Katzenrufen). Oft sind es weiblich gelesene Personen, die von den meist sexuell anzüglichen, im Vorbeigehen bemerkten Äußerungen betroffen sind.
Catcalling ist leider keine Seltenheit oder Ausnahmeerscheinung, für viele Menschen gehört es zum Alltag dazu. Eine ganz gewöhnliche Erfahrung, die eben draußen auf der Straße gemacht wird. Vielen Betroffenen wurde beigebracht, einen Catcall zu ignorieren, nicht allzu ernst zu nehmen, im schärfsten Fall den Mittelfinger entgegenzustrecken und mit dem Tag normal weiter zu machen.
Allerdings ist dieses „normale Weitermachen“ häufig nicht möglich. Den ganzen Tag über denken Betroffene immer wieder an die unangenehme Situation, ärgern sich darüber, falsch oder gar nicht reagiert zu haben, ärgern sich, dass Umstehende nicht eingriffen und fragen sich, ob sie etwas getan haben, um den Catcall zu provozieren. Catcalling ist kein Kompliment; es ist ein verbaler Übergriff und hinterlässt Spuren bei den Betroffenen.
In den letzten Jahren ist der Unmut über die dauernde, gesellschaftlich akzeptierte Form der Belästigung größer geworden. Betroffene haben begonnen, sich Luft zu schaffen und wollen ein Bewusstsein für das Ausmaß der Übergriffe schaffen – mithilfe von Straßenkreide und der Social Media Plattform Instagram.
Der erste Catcalls-Account bei Instagram wurde 2016 von Sophie Sandberg erstellt –@catcallsofnyc. Sie hat damit den Startschuss für eine globale Bewegung geschaffen, die Belästigung/Catcalling im öffentlichen Raum und online sichtbar macht.
So funktioniert ein Catcall-Account:
- Erlebte Catcalls werden von Instagram-Nutzenden als private Nachricht auf Instagram an den @catcallsof(Stadt)-Account gesendet.
- Die Catcalls werden dann von den Catcall-Aktivist:innen am Ort der Belästigung mit Kreide auf den Boden gemalt und dort für Passant:innen öffentlich sichtbar gemacht.
- Darüber hinaus werden die „angekreideten“ Catcalls fotografiert und von @catcallsof(Stadt) als Beitrag auf Instagram veröffentlicht, häufig in Kombination mit der anonymisierten Nachricht, in der der Catcall beschrieben wurde.
Das Konzept des ersten Accounts aus New York ging auf, wurde seitdem vielfach von Aktivist:innen in anderen Städten adaptiert und ist zu einer internationalen Bewegung gegen Belästigung im öffentlichen Raum gewachsen. Es gibt mittlerweile über 70 Catcall-Accounts auf allen Kontinenten.
Auch in Rostock gibt es seit Februar 2020 eine Gruppe von Aktivist:innen, die Catcalls auf die Straße bringen (@catcallsofrostock). Innerhalb dieser Zeit wurden über 90 Catcalls gemeldet und davon ca. 50 gekreidet. Mit steigender Bekanntheit der Aktionsform steigen auch die Nachrichten und die Gruppe beschreibt, dass es manchmal schwierig sei, mit dem Kreiden hinterherzukommen.
Betroffenen hilft das Ankreiden. Ein angekreideter Catcall sei ein empowerndes Gefühl. Die Belästigung wird öffentlich, bleibt kein „Einzelschicksal“ und es findet eine Gegenwehr statt, auch wenn Betroffene sich im Moment der Belästigung zunächst nicht wehren konnten oder wollten.
Catcalling wird von den Betroffenen und solidarischen Personen als ernsthaftes Problem angesehen und es werden Forderungen laut, die in der analogen Welt greifen sollen. Im August 2020 startete eine Petition gegen Catcalling bzw. dafür, verbale sexuelle Belästigung unter Strafe zu stellen (sowie in Frankreich übrigens in 2018 geschehen). Die Studentin Antonia Quell hat sie initiiert – mit Erfolg: Knapp 70.000 Personen haben die Petition unterzeichnet. Jetzt liegt die dem Petitionsausschuss des Bundestages vor, der sie prüft und darüber berät, wie es in Sachen #CatcallingStrafbarMachen weitergehen soll.
Während also die trägen Mühlen der Politik mahlen, bleiben Catcall-Crews in ganz Deutschland unermüdlich auf den Beinen und erobern – mit einem Stück Kreide in der Hand – den öffentlichen Raum zurück! #CatcallingIsNotACompliment