Die Letzte Generation – ein etwas anderer Bericht

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Von Merrit Tok // Grafik von Josephin Bauer

Kartoffelbrei an Gemälden, Blockaden auf Autobahnen, Lahmlegung von Flughäfen. Die Proteste der Gruppe Letzte Generation sind in letzter Zeit immer häufiger in den Medien zu sehen. Doch der erste Protest, der in Erinnerung blieb, war wohl der Hungerstreik einiger Protestierenden im Sommer 2021, kurz vor der Bundestagswahl. Dieser hatte sogar ein Gespräch mit dem jetzigen Bundeskanzler Olaf Scholz zur Folge.

Berichterstattung und Reaktionen aus der Öffentlichkeit

Jedoch gehen neben der medialen Aufmerksamkeit und der kritischen Berichterstattung über die Protestformen Zweck und Ziele hinter dem Widerstand häufig verloren. In Talkshows und Interviews rücken weniger die Forderungen der Letzten Generation und deren Auswirkungen in den Vordergrund, sondern eben die Wahl der Mittel, diesem Protest Gehör zu verschaffen. Selbstverständlich muss bei einer umfassenden Berichterstattung auch dieser Punkt beleuchtet werden, doch suggestive Headlines und einseitige Berichte sind hier oft die einzige Realität. Und das Framing, das auch von Politiker:innen und Personen des öffentlichen Lebens genutzt wird, funktioniert. Die Protestierenden werden als ,,Klima-RAF” oder ,,Klimaterroristen” bezeichnet und es werden härtere Haftstrafen für sie gefordert. Doch wie gefährlich ist es für eine Demokratie, das bestehende Recht so zu ändern, dass bestimmte Stimmen nicht mehr gehört werden können, verfassungskonforme Proteste unterbunden werden sollen und reale Bedrohungen wie Terrorismus mit Protesten der Klimabewegung in einen Topf geworfen werden?

Terror wird definiert als systematische Verbreitung von Angst und Schrecken durch ausgeübte oder angedrohte Gewalt, um Menschen gefügig zu machen.[1] Die Proteste der Letzten Generation verpflichten sich der obersten Maxime, immer gewaltfrei und friedlich zu sein. Diese Voraussetzung wurde auch bis heute nie gebrochen. Die Proteste also mit Terrorismus oder der RAF gleichzusetzen ist Tatsachenverdrehung und relativiert diese beiden.

Außerdem werden reale Ängste, wie Weltschmerz oder Klimaangst, von denen besonders auch junge Menschen stark betroffen sind, heruntergeredet und nicht angehört. Wenn Markus Lanz in seiner Talkshow mit der Aktivistin Carla Rochel der Letzten Generation spricht und ihr vorwirft, dass man als junger Mensch doch bitte optimistisch sein müsse und sich auf die Zukunft freuen solle, dann kommt genau das vorher beschriebene Problem wieder zum Vorschein.[2] Junge Menschen und ihre Ängste und Lebensrealitäten werden oftmals nicht gehört oder ernst genommen. Die Erfahrung fehle ja oder der Optimismus, dass irgendwer eine Innovation erfindet, die das Weltklima noch retten kann. Doch bis jetzt ist davon nichts passiert und jeden Tag rennt uns allen die Zeit weg, das Ruder noch herumzureißen. Die Dringlichkeit der Situation, in der wir uns alle befinden und die Auswirkungen, die Länder des globalen Südens, aber auch Länder des globalen Nordens jetzt schon durch den menschengemachten Klimawandel der Industriestaaten spüren, werden heruntergespielt und nicht anerkannt.

Ziele der Protestaktionen

Durch die Proteste will die Gruppe Druck auf die Regierung ausüben, damit effektive Klimaschutzmaßnahmen endlich umgesetzt werden. Konkrete Forderungen sind zum Beispiel ein Essen-Retten-Gesetz, die Einführung eines Tempolimits von 100 km/h auf deutschen Autobahnen, sowie die Wiedereinführung des 9€-Tickets. Das sind alles keine revolutionären Ideen. Das Essen-Retten-Gesetz orientiert sich an einem ähnlichen Gesetz, das es in Frankreich schon seit 2016 gibt; ein Tempolimit gibt es in fast allen Nachbarstaaten von Deutschland und das 9€-Ticket war im Sommer ja sehr erfolgreich. Diese Ansätze gibt es alle schon und sie sind auch alle umgesetzt worden. Was hindert die Bundesregierung also, durch solche Maßnahmen ein wenig mehr Klimaschutz zu leisten?

Es ist wissenschaftlicher Konsens, dass die nächsten drei bis vier Jahre entscheidend sein werden, ob wir und zukünftige Generationen noch ein lebenswertes Leben auf dieser Erde haben können.[3] Und darauf beruft sich die Letzte Generation: ,,Wir sind die erste Generation, die den beginnenden Klimakollaps spürt, und die letzte Generation, die noch etwas dagegen tun kann”, heißt es auf ihrer Website.[4]

Die Protestierenden sehen diesen stets gewaltfreien und friedlichen zivilen Ungehorsam als letzten Ausweg, um die Dringlichkeit der Situation in der Politik und in der Mitte der Gesellschaft bewusst zu machen. Es geht um Aufmerksamkeit durch Proteste, die nicht nur vor Regierungsgebäuden stattfinden, sondern auch mitten im Alltag. Es geht um Protest, der nicht ignoriert werden kann, so die Letzte Generation.

Rechtliche Legitimation

Wenn es um die Proteste der Letzten Generation geht, wird häufig auch von härteren Haftstrafen und schnelleren Gerichtsverfahren gesprochen. Schon jetzt sitzen Klima-Protestierende in Bayern ohne Prozess in Gewahrsam. Auch das umstrittene Gesetz, welches Präventivhaft im ,,Extremfall” erlaubt, wird angewendet. Der Extremfall ist dabei nicht viel näher beschrieben. Doch friedliche Klimaproteste fallen anscheinend darunter, da Protestierende auch schon präventiv für ein paar Wochen in Gewahrsam waren/sind. Ob das Rechtsstaatsprinzip hier noch vollständig besteht oder von allen an der Diskussion beteiligten Personen verstanden wird, ist fraglich. Auch Generalstaatsanwältin Margarete Koppers verweist auf das Rechtsstaatsprinzips und seine Signifikanz.[5]

Prof. Michael Hassemer, Richter am Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, geht sogar so weit, dass er die Klimakrise als eine Notstandssituation und damit auch als eine rechtfertigende Situation für bestimmte Rechtsgutsverletzungen ansieht.[6]

Das, was die Protestierenden mit ihren Protesten ausüben, ist ziviler Ungehorsam. Ziviler Ungehorsam ist definiert als bewusster Verstoß gegen rechtliche Normen und einzelne Gesetze, um auf ein bestehendes Unrecht aufmerksam zu machen und er zielt darauf ab, dieses zu beseitigen. Dieses Widerstandsrecht ist ein wichtiges Mittel zur politischen Teilhabe, es ist stets gewaltfrei und zielt auch auf die öffentliche Meinungsbildung ab. Ziviler Ungehorsam gehört zu den erfolgreichsten Protestformen der Geschichte.[7]

Die Protestierenden begehen Straftaten wie Nötigung im Straßenverkehr, Hausfriedensbruch oder Sachbeschädigung bewusst und sind bereit, sich vor Gericht zu verteidigen.

Im Gegensatz könnte man doch auch die Frage stellen, ob es nicht auch illegal ist, sich nicht an das Pariser Klimaabkommen zu halten, ein verfassungswidriges Klimaschutzpaket vorzulegen oder ganz grundlegend gegen beispielsweise Artikel 20a des Grundgesetzes zu verstoßen, in dem es heißt, dass der Staat die natürlichen Lebensgrundlagen künftiger Generationen schützen muss. Natürlich kann man das eine mit dem anderen nicht vergleichen. Doch muss man eben beide Seiten der Medaille betrachten und klarstellen, warum die Protestierenden diese Art des zivilen Ungehorsams nutzen. Es geht um die Sicherung der Lebensgrundlage für heutige und zukünftige Generationen. Und wenn dann mal abgewogen wird, was schwerer wiegt: Sachbeschädigung oder das Überleben der gesamten Menschheit?

Thema Klimakrise

Fakt ist, dass wir uns mitten in der Klimakrise befinden und jetzt Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt werden müssen, damit noch ein halbwegs gutes Leben für jetzige und zukünftige Generationen gewährleistet werden kann. Dafür haben wir nicht mehr 10, 20 oder 50 Jahre Zeit, sondern müssen in den nächsten paar Jahren radikal anfangen, endlich umzusetzen, was die Mehrheit aller Wissenschaftler:innen überall auf der Welt schon seit Jahrzehnten fordert.[8]

Die Proteste fordern eben genau das: Endlich anzufangen.

Fünf Jahre Fridays For Future und es wurden keine ausreichenden Maßnahmen verabschiedet, geschweige denn umgesetzt. Wenn 1,4 Mio. Menschen auf der Straße nicht bewirken können, dass etwas in der Politik passiert, wie soll es sonst gehen? Rechtfertigt das nicht auch noch stärkere Protestformen als jeden Freitag im Jahr demonstrieren zu gehen? Über andere Protestformen kann man natürlich nachdenken, doch ist der Sinn von Protesten nicht, irgendwo weh zu tun oder uns in unserem Alltag manchmal einzuschränken, damit man sich mit den Forderungen oder dem Thema der Proteste auseinandersetzt?

Berechtigte Kritik an der Letzten Generation?

Neben der ungerechtfertigten Kritik an der Protestgruppe gibt es jedoch auch ein paar gute Gegenargumente:

Die Protestierenden bringen sich häufig durch die Aktionen selbst in Gefahr. Sie müssen Aggressionen ihrer Mitmenschen gegenüber ihnen hinnehmen, gefährden durch beispielsweise Hungerstreiks ihre eigene Gesundheit oder bringen ihre physische Unversehrtheit in Gefahr, wenn sie sich von Autobahnbrücken abseilen.

Zudem sind ihre Aktionen sehr umstritten und stoßen vielen Menschen schlecht auf. Der Protest polarisiert und macht einige, die von den Protesten betroffen sind, wütend. Das könnte zu einer Antihaltung gegen mehr Klimaschutz führen und somit den Zielen nicht gerecht werden. Es gab vor den sich häufenden Protesten der Letzten Generation viel Zustimmung zum Thema Klimaschutz. Könnte diese Zustimmung durch die polarisierenden Proteste kippen?

Es ist abzuwarten, was die Proteste wirklich bewirken, sowohl in der Politik als auch in der öffentlichen Diskussion. Trotzdem ist festzuhalten, dass wir uns in der Klimakrise befinden, kein effektiver Klimaschutz geleistet wird und unser aller Zukunft extrem gefährdet ist. Diese Proteste tun weh und die Protestierenden kleben sich auch nicht gerne auf Autobahnausfahrten fest, jedoch sehen sie diese Protestform als einzige Möglichkeit, das Thema Klimaschutz wieder in alle Köpfe und auf den Verhandlungstisch zu bringen.

Quellen

[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Terror (9.12.2022)

[2] https://www.youtube.com/watch?v=CbzsFZyzL94 (10.12.2022)

[3] http://kurt.digital/2020/03/14/zeitdruck-beim-klimawandel-wie-viel-zeit-noch-bleibt/ (9.12.2022)

[4] https://letztegeneration.de/forderungen/ (9.12.2022)

[5] https://taz.de/Strafen-gegen-die-Letzte-Generation/!5873746/ (9.12.2022)

[6] https://www.youtube.com/watch?v=GZ0JQ5VMT4o (8.12.2022)

[7] https://www.juraforum.de/lexikon/ziviler-ungehorsam (10.12.2022)

[8] https://www.umweltbundesamt.de/themen/ipcc-bericht-sofortige-globale-trendwende-noetig (10.12.2022)

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