Das Rostocker Wohnungsmosaik

von David Wolf // Illustration von Julia Michel

Wohnungen für alle und überall. Das scheint das Motto des Wiener Wohnungsmarkts zu sein. Die Hauptstadt Österreichs ist eine der wenigen europäischen Städte, in der viele Wohnungen noch im Eigentum der Stadt sind. Verteilt durch alle 23 Bezirke sind sogenannte Gemeindebauten zu finden, in denen für alle Mieter:innen der selbe Quadratmeterpreis gilt. Dies betrifft ca. 62 Prozent aller Wiener Wohnungen. Ein solches Wohnungsmodell führt nicht nur zu verhältnismäßig günstigen Mieten, sondern vor allem auch zu einer heterogenen Stadtlandschaft, in der Personen mit den unterschiedlichsten Hintergründen die Möglichkeit haben, nebeneinander zu wohnen.[i]

In Rostock ist und bleibt ein solcher Wohnungsmarkt bislang nur Wunschdenken. In einem Interview mit dem heuler erklärt Oberbürgermeisterin Eva-Maria Kröger: „Rostock ist aus historischen Gründen sozialräumlich extrem gespalten. Genauso lange wie es gedauert hat, diesen Zustand zu etablieren, so lange wird es auch dauern, ihn wieder aufzulösen“.[ii]
Das Ausmaß dieser Spaltung ist vielleicht nicht allen bewusst. Um es etwas deutlicher zu formulieren: In fast keiner anderen deutschen Großstadt ballen sich Einkommensklassen so sehr auf einem Fleck wie in Rostock. In der Forschung wird dies als soziale Segregation bezeichnet.[iii]
Laut einer Studie des WZB (Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung)[iv] ist diese deutschlandweit nur in Schwerin höher als in Rostock. Am deutlichsten zeigt sich dies, wenn man die soziale Segregation von Kindern betrachtet. Um eine Gleichverteilung zwischen Einkommens- und Wohnverhältnissen innerhalb von Rostock zu schaffen, müsste ziemlich genau die Hälfte aller Kinder, die in Armut leben, umziehen. Dies bringt eine Vielzahl an Folgen mit sich, die sich untereinander spiralartig verstärken. Beispielsweise sind Schulen und Kindergärten aufgrund von fehlenden finanziellen Mitteln häufig schlechter ausgestattet als in benachbarten Stadtteilen, und es sind nur sporadisch außerschulische Freizeitaktivitäten für Kinder zu finden. Dies nimmt maßgeblich Einfluss auf den Bildungserfolg von Kindern. Zudem werden diese Viertel für Zuzügler:innen unattraktiv, was zu einer Intensivierung der sozialen Segregation führt. Die Chancengleichheit, die im deutschen Bildungssystem angestrebt wird, erlebt hier einen Rückschritt.[v]

Wie genau sich die Ungleichheit in Rostock verteilt, zeigt ZEIT ONLINE in Zusammenarbeit mit infas360 in Form einer Karte, die die Einkommensverteilung Rostocker Haushalte darstellt.
Haushalte, die den niedrigsten Einkommensklassen zuzuordnen sind, sind vermehrt am Rostocker Stadtrand zu finden, in Lütten Klein, Schmarl und Evershagen, aber zum Teil auch in der Südstadt und Toitenwinkel. Wer in der KTV wohnt, hat im Vergleich dazu meist ein höheres Einkommen.
Die Stadtmitte grenzt sich jedoch klar vom Rest ihrer Umgebung ab, dort befinden sich zunehmend Haushalte der höchsten Einkommensklasse. [vi]

Dass mit Schwerin und Rostock ausgerechnet zwei Städte aus MV die höchsten Werte der sozialen Segregation aufweisen, ist kein Zufall. Mehr als die Hälfte aller ostdeutschen Großstädte befinden sich unter den 16 deutschen Städten mit den höchsten Segregationsindizes.
Doch auch innerhalb der neuen Bundesländer gibt es sehr große Unterschiede: So ist die soziale Segregation in Städten wie Magdeburg, Leipzig oder Dresden nur ungefähr halb so stark ausgeprägt wie in Rostock oder Schwerin. Die Autor:innen der WZB Studie nennen die individuelle Stadtgeschichte als den Grund für diese Unterschiede.
In Rostock reichen diese Ursachen bis zum zweiten Weltkrieg zurück:
Am 24. April 1942 steuerten fast 150 britische Bomber auf Rostock zu und zielten dabei direkt auf die Innenstadt. Mit den Bombardierungen verfolgten die Alliierten das Ziel, den „Widerstandswillen der Zivilbevölkerung des Feindes und vor allem der Industriearbeiter“ zu brechen.[vii]
Viele der Bomben verfehlten jedoch das Stadtzentrum. Insgesamt wurde dabei etwa die Hälfte der Innenstadt zerstört. So verheerend diese Bombardierungen auch waren, hat es andere Innenstädte, wie die in Dresden oder Chemnitz, weitaus härter getroffen. 95 Prozent aller innenstädtischen Gebäude wurden dort zerstört. Nach Beendigung des Kriegs zeigte sich dieser Unterschied auch im Wiederaufbau der Städte: Während in Dresden und Chemnitz die freiliegenden Flächen der Innenstadt durch Plattenbauten aufgefüllt wurden, passierte dies in Rostock vornehmlich am Stadtrand. So begehrt diese Wohnungen während der SED-Herrschaft auch waren, so unbeliebt wurden sie nach dem Zusammenbruch der DDR. Familien mit genügend Geld bauten sich Eigenheime in Rostocker Vororten. Sozial Benachteiligte blieben in den Plattenbauten zurück. Von der anschließenden Sanierung der Innenstadt konnten die Randgebiete Rostocks nicht profitieren. Dadurch stiegen die Preise der Innenstadtwohnungen, was wiederum dazu führte, dass arme Menschen immer weiter an die Stadtgrenze gedrängt wurden.

Eine Segregation vom Rostocker Ausmaß wieder aufzulösen, stellt die Stadtforschung vor eine schwierige Aufgabe. Das Errichten von Sozialwohnungen ergibt lediglich Sinn, wenn es sie, wie in Wien, in allen Vierteln der Stadt gibt. Das allein wird jedoch nicht genügen, um ein integratives Stadtmodell zu schaffen. Wie die Rostocker Oberbürgermeisterin gegenüber dem heuler erklärte „brauchst du einen Blumenstrauß an Maßnahmen. […]  Es spielt eine sehr große Rolle, welche kulturellen, sozialen, oder eben auch sportbezogenen Angebote sich in welchen Stadtteilen befinden. Was macht einen Teil so attraktiv, dass jemand Lust hat, dort zu wohnen?“.


[i] https://www.deutschlandfunk.de/sozialer-wohnungsbau-warum-wiener-guenstig-wohnen-100.html

[ii]https://heulermagazin.de/2023/01/27/der-heuler-zu-besuch-im-rathaus/

[iii]https://soztheo.de/stadtsoziologie/segregation/

[iv]https://bibliothek.wzb.eu/pdf/2018/p18-001.pdf

[v]https://lak-mv.de/stellungnahmen/stellungnahme-der-landesarmutskonferenz-mv-zur-wzb-segregationsstudie/

[vi]https://www.zeit.de/wirtschaft/2023-01/einkommensverteilung-arm-reich-ungleichheit-deutschland

[vii]https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/Als-Rostocks-Innenstadt-vom-Bombenhagel-zerstoert-wurde,bombenaufrostock101.html

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