Von Fiona Richter // Illustration von Luca Butt
Triggerwarnung: In diesem Artikel wird Gewalt gegen Frauen thematisiert.
Am 8. März werden jedes Jahr Blumen verschenkt und Demonstrationen durchgeführt. Doch woher stammt der feministische Kampftag?
1910 beschloss die Sozialistische Frauenkonferenz die Einführung eines internationalen Frauentags, um das aktive und passive Wahlrecht für Frauen zu fordern. Von Anfang an ging es um politische Teilhabe und einen Umsturz der gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisse. Während des Ersten Weltkrieges war der Tag pazifistisch ausgerichtet, in der Weimarer Republik wurde der 8. März als kommunistisch denunziert und es gab einen alternativen sozialdemokratischen Frauentag. Nach der gelungenen Erkämpfung des Wahlrechts verlagerte sich der Fokus auf Themen, die auch heute noch aktuell sind: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und Zugang zu Bildung. Das NS-Regime verbot den Frauentag und hob stattdessen den Muttertag hervor, der besser zur Rolle der Frau im nationalsozialistischen Weltbild passte.1
Bei der Betrachtung der 114-jährigen Geschichte wird klar, dass dieser Tag nicht ein ausschließliches Ziel verfolgte, einen universal anerkannten Charakter hatte, oder selbst an einem festen Datum stattfand. Deswegen ist es kein Wunder, dass heute ein breites Spektrum intersektionaler feministischer Forderungen am 8. März kundgetan wird und dass verschiedene Bezeichnungen – Frauentag, Frauenstreiktag, feministischer Kampftag – verbreitet sind. Letztere wird gewählt, um zu verdeutlichen, dass von der Unterdrückung im Patriarchat Menschen aller Geschlechter betroffen sind – und dass eine Beteiligung an feministischen Kämpfen uns allen zugutekommt.
Obwohl der Frauentag in Mecklenburg-Vorpommern seit letztem Jahr ein Feiertag ist, verbringen einige Frauen ihn trotzdem auf der Arbeit – zum Beispiel in Pflegeheimen, in Restaurants oder bei der Feuerwehr. Andere sind mit unbezahlter Sorgearbeit beschäftigt, vielleicht mit der Betreuung von Kindern. Viele genießen einen wohlverdienten freien Tag, treffen sich mit Freund*innen, tauschen sich aus, gehen auf die Straße. In den Wochen rund um den 8. März finden in Rostock jährlich unter dem Motto “Ein Tag ist nicht genug” die queerfeministischen Festivalwochen statt, mit einem bunten Angebot an Bildungsveranstaltungen, Kunst-Events und Partys. Zum Programm gehören natürlich auch Demonstrationen – letzte Woche haben über 800 Personen an der Demo anlässlich des feministischen Kampftages teilgenommen. Der 8. März ist von Dualität geprägt: Wir feiern, was bereits erreicht wurde und wir organisieren uns, um das zu realisieren, wovon wir noch träumen.
Feministischen Kämpfen nur am 8. März beizuwohnen bedeutet, sich an den anderen 364 Tagen des Jahres dem Patriarchat widerstandslos zu ergeben. Ein Tag des Widerstandes ist kaum ein Tropfen auf den heißen Stein. Deswegen ist es wichtig, sich fortlaufend mit feministischen Themen auseinanderzusetzen. Diese ziehen sich durch alle Lebensbereiche: von der frühen Prägung durch Geschlechterrollen über den Equal Pay Gap im Arbeitsleben und die steuerliche Diskriminierung von Frauen mittels des Ehegattensplittings2 bishin zur Altersarmut, die disproportional Frauen betrifft. Derzeit kann man mitverfolgen, wie ein Vater den Staat auf Schadensersatz verklagt, weil in Deutschland noch keine bezahlte Freistellung nach der Geburt für ein nichtgebärendes Elternteil eingeführt wurde. Und das, obwohl sowohl eine EU-Richtlinie als auch der Koalitionsvertrag der Ampelregierung diese Familienstartzeit vorsehen.3 Wie sollen neue Eltern so gleichberechtigt in das Leben mit Kind starten? Die Weichen für eine ungleiche Aufteilung der Sorge- und Lohnarbeit werden bereits hier gestellt. An all diesen Stellen sieht man, dass unser patriarchales System – institutionalisiert durch unseren patriarchalen Staat – der Geschlechtergerechtigkeit im Weg steht.
Das Patriarchat macht Frauen das Leben nicht nur schwer. Für viel zu viele Frauen bedeutet es den Tod. Seit 2022 zählt @femizide_stoppen auf Instagram jeden Femizid in Deutschland. Femizide sind Tötungen von Frauen mit spezifischem Geschlechtsbezug, die sich in ein Muster misogyner Gewalt einfügen.4 Im letzten Kalenderjahr zeichnete der Account 114 solcher Taten auf, am 8. März 2024 sind es bereits 20. Leider wird über diese Tötungen häufig als “Beziehungstaten” oder “Familiendramen” berichtet und Sympathie für die Täter geschürt – wobei sich die Frage stellt, warum eine Tat dadurch relativiert wird, dass der Täter der Getöteten nahe stand oder sie vorgeblich liebte – macht nicht genau dieser Umstand die Tat grausamer? Betroffenen häuslicher Gewalt wird oft vorgeworfen, dass sie bei ihren Partner*innen bleiben. Es ist jedoch bekannt, dass für von häuslicher Gewalt betroffene Frauen die Trennung der gefährlichste Moment ist.5 Und der Neustart nach Beendigung einer gewaltsamen Beziehung ist voller Hürden. Schleswig-Holstein ist das einzige Bundesland, in dem Frauenhäuser staatlich finanziert werden. Nur dort muss eine Frau nicht befürchten, beim ohnehin schwierigen Wiederaufbau ihres Lebens, nach der Trennung auch noch hunderte bis tausende Euro für ihren Aufenthalt im Frauenhaus zahlen zu müssen.6 Es fehlen systematische Lösungen für systematische Probleme.
Neben gesellschaftlichen Entwicklungen lohnt sich auch eine kritische Betrachtung der eigenen Beziehungen und Verhaltensweisen, denn für den Feminismus gilt: das Private ist politisch. Frauen verbringen jede Woche neun Stunden mehr mit unbezahlter Sorgearbeit als Männer.7 Sind Haushaltsaufgaben und die Pflege von Kindern oder Angehörigen in der Beziehung ungleichmäßig aufgeteilt und wenn ja, wie lässt sich dieses Verhältnis gerechter gestalten? Packen alle Mitbewohner*innen in der WG mit an, aber die eine Mitbewohnerin ist immer diejenige, die Putzpläne erstellt und es als einzige rechtzeitig merkt, wenn das Klopapier droht auszugehen? Dieser Planungs- und Koordinierungsaufwand nennt sich mental load, wird oft von Personen, die ihn nicht aufbringen, ausgeblendet und verursacht eine Menge Stress, wenn man ihn alleine und scheinbar unsichtbar schultern muss. Wer übernimmt die finanzielle und organisatorische Verantwortung für die Verhütung und fühlt sich diese Person mit der genutzten Methode physisch und psychisch wohl? Das sind nur einige Fragen, die einen Ansatz dafür bieten können, zwischenmenschliche Verhältnisse fairer und angenehmer für alle Beteiligten zu gestalten.
Den 8. März auf einen Anlass zum Verschenken überteuerter Blumen oder pinker Sektflaschen zu reduzieren, wird weder seinem historischen Ursprung noch der aktuellen Situation gerecht. Deswegen gilt es, sich zu informieren, sich selbstkritisch zu reflektieren und aus der Erkennung von Missständen Taten folgen zu lassen. Gegen Diskriminierung und Repression, für Selbstbestimmung, Anerkennung und Gerechtigkeit.
1 https://www.lpb-bw.de/08-maerz-frauentag#c54914
2 https://www.zeit.de/wirtschaft/2017-11/gleichberechtigung-frauen-steuern-gender-pay-gap-regierung/seite-2
3 https://sandrarunge.de/wp-content/uploads/2024/02/Pressemitteilung_Familienstartzeit_21.02.2024.pdf
4 Streuer, Jana (2022): Worüber wir sprechen, wenn wir über Femizide sprechen. Eine Annäherung. in: Gender & Crime 54(2022), S. 145-152.
5 https://www.zeit.de/arbeit/2023-04/haeusliche-gewalt-frauen-udo-martens-polizei-protokoll-kriminalbeamter/komplettansicht
6 https://taz.de/Frauen-muessen-fuer-Frauenhaeuser-zahlen/!5981278/
7 https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/02/PD24_073_63991.html