Ein Viertel Jahrhundert illegaler Müllentsorgung

Ein Viertel Jahrhundert illegaler Müllentsorgung

Von David Wolf // Illustration von Rosa Staiger

40 Minuten mit dem Auto, 50 Minuten mit der Bahn oder zwei Stunden mit dem Fahrrad. Länger braucht es nicht, um die 50 Kilometer von Rostock bis zum nördlichen Rand von Güstrow zurückzulegen. Dort wird auf einem Schild für eine Obstplantage geworben. Äpfel, Pflaumen oder Obstsäfte werden hier verkauft. Ein Stück weiter begrüßen einen die Gartenfreunde in ihrer Kleingartenanlage.  Aus einem der Gärten ist eine Boombox zu hören, die das Lied „Ice Ice Baby“ von Vanilla Ice spielt. Von hier aus dauert es zu Fuß keine fünf Minuten bis zu einer Mülldeponie, auf der seit über 20 Jahren Müll gelagert wird. Diese dürfte jedoch gar nicht existieren. Es handelt sich nämlich um eine illegale Müllhalde.

Von außen betrachtet, ist das Ausmaß der Verschmutzung gar nicht genau zu erkennen. Auf der einen Seite werden die Müllstapel von mit Gras überwucherten Sandbergen verdeckt. Auf der anderen Seite verwehren Hügel, die auf den ersten Blick aussehen, als seien sie aus Kies, die Sicht auf das Geschehen. Greenpeace schreibt, dass es sich dabei allerdings nicht um Kies, sondern um geschredderte Kabel handelt. Hin und wieder sind jedoch Stellen zu finden, an denen ein Blick auf die Deponie geworfen werden kann. Zwischen den Überresten zerfallener Gebäude stapelt sich der Müll. Autoreifen, Kanister, in denen noch Überreste von Flüssigkeiten sind, Säcke mit unbekannten Inhalten oder geschredderte Plastikteile, die nicht mehr identifizierbar sind.

Verantwortlich dafür ist die Firma Industrieverpackung IVP. Nach der Wende kaufte IVP das Gelände und wollte schon 1990 eine Deponie errichten, um Müll zu lagern, zu verarbeiten und weiterzuverkaufen. Der Landkreis Güstrow lehnte dies jedoch ab, da sich das Gelände in einer Trinkwasserschutzzone befindet. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Firma jedoch schon die ersten Tonnen Müll abgeladen. Auch die Einsprüche, die durch IVP bei den Behörden eingereicht wurden, brachten nicht die erhofften Genehmigungen. Anstatt das Gebiet zu räumen und einem anderen Zweck zuzuführen, wurden die Müllberge über die Jahre nur noch größer. 1994 veröffentlichte die Rostocker Wasserbehörde ein Schreiben, in dem es heißt: „Bei Regenwetter kommt es zu Abspülungen und damit zur Verunreinigung des Oberflächen- und Grundwassers. (…) Damit ist eine Gefährdung des Trinkwassers für die Stadt Rostock gegeben. Es ist erforderlich, die Fläche sofort von diesen Materialien zu räumen“. Doch auch dieser Forderung ist IVP nicht nachgegangen. Bis ins Jahr 2020 wurden schätzungsweise 14.000 Tonnen Müll auf dem Gelände abgeladen.

Greenpeace entnahm der Deponie 2021 Proben und untersuchte diese auf möglicherweise gefährliche Stoffe. Dabei wurden vor allem erhöhte Werte für Quecksilber und Arsen festgestellt. Arsen ist laut Greenpeace ein Zellgift, welches innere Organe schädigt und zudem krebserregend sein kann. Quecksilber könne Nervenzellen schädigen und zu Missbildungen bei ungeborenen Kindern führen. Ob diese Stoffe bis ins Grundwasser vorgedrungen sind, konnte jedoch nicht nachgewiesen werden.

Das Ziel einer solchen Mülldeponie ist es, die hohen Kosten einer legalen Müllentsorgung auszunutzen, um daraus Profit zu schlagen. Dafür wird eine fachgemäße Entsorgung des Mülls, für einen vergleichsweise niedrigen Preis, vorgetäuscht. Schließlich werden die Frachtpapiere gefälscht, indem z.B. die Art des Mülls verändert oder schlichtweg der Zielort verfälscht wird. Das Bundeskriminalamt vergleicht den illegalen Handel mit Müll mittlerweile mit der organisierten Drogenkriminalität. Dabei wurde festgestellt, dass der Müllhandel mehr Geld einbringen kann. Die Strafen für den illegalen Handel mit Müll fallen jedoch verhältnismäßig niedrig aus. Häufig wird das Verfahren in einem solchen Fall gegen die Zahlung einer Geldstrafe eingestellt.

Erst 2020 nahm die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen auf. Die Polizei erhielt einen anonymen Anruf, in welchem der nächtliche LKW-Verkehr auf dem scheinbar verlassenen Gelände gemeldet wurde. Laut den Behörden wurde immer wieder versucht, die Besitzer:innen zu erreichen, da sie die Kosten für die Entsorgung hätten tragen müssen.  Da die Firma unter falschem Namen und einer nicht-existierenden Adresse geführt wird, konnten die schuldigen Personen nicht ausfindig gemacht werden. Im Herbst letzten Jahres fällte das Land Mecklenburg-Vorpommern die Entscheidung, eine Firma mit der Entsorgung des Mülls zu beauftragen. Die Kosten der Entsorgung könnten sich auf bis zu vier Millionen Euro belaufen. Anfang diesen Jahres sollten die Aufräumarbeiten beginnen.

Im März 2021 wurde die Deponie durch das greenpeace magazin folgendermaßen beschrieben: „Das Gelände wirkt verlassen, keine Maschinen, keine Menschen. Der Wind hat bunte Plastikpartikel auf den angrenzenden Acker geweht, auf dem erste zarte Rapspflanzen sprießen“. Circa ein Jahr später sieht die Situation schon etwas anders aus. Das Gelände wirkt nicht mehr so verlassen. Vor dem verschlossenen Tor steht ein Schild, auf dem vom Projekt der „Entsorgung illegaler Abfalllagerungen“ die Rede ist. Die Firma Gesellschaft für Abfallwirtschaften und Altlasten M-V wurde mit der „Beräumung und ordnungsgemäßen Entsorgung“ der Mülldeponie beauftragt. Es wurden Schilder angebracht, auf denen auf die Videoüberwachung des Bereichs hingewiesen wird. Auf dem Gelände wurden ein Bagger und mehrere Bürocontainer aufgestellt. Das angrenzende Rapsfeld scheint bereits von den Verschmutzungen befreit zu sein. Auch direkt auf dem Gelände scheinen die Müllberge langsam kleiner zu werden. Dass dies jedoch nur der Anfang ist, zeigen die 21 anderen illegalen Mülldeponien, die dem Umweltministerium, allein in MV, bekannt sind.

Quellen:

Güstrow: Giftiger Müll in Trinkwasserschutzzone [03.04.2022]

muellrausch.de – Recherchen im Dreck [03.04.2022]

Der Fall Güstrow: Eine Spur führt nach Holland [03.04.2022]

Illegale Müllkippe in Güstrow wird geräumt [03.04.2022]

Auf Halde: Illegale Mülldeponien mitten in Deutschland aufgespürt [03.04.2022]

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